1900
Entgegen
dem hartnäckig überlieferten Klischee sind es keineswegs „Malocher“
oder „Proletarier“, wie es um 1900 klassenbewusst heißt, die die
Anfänge des Fußballs im Ruhrgebiet legen. Es sind vor allem Söhne des
Bürgertums und des Mittelstands, die sich für die neue Mode begeistern,
die aus England, dem Mutterland des Fußballs, herüberschwappt. Dabei
gelten Fußballer anfangs als Außenseiter: über die „Fußlümmelei“ wird
gespottet, und der Sport als „Englische Krankheit“ verpönt, gilt doch
alles Englische als „Erzfeind“ des Deutschen Kaiserreichs.
1904
Aber
die „Fußballseuche“ grassiert vor allem bei jungen Menschen und eine
Gruppe von 16 Männern, meist Bürgersöhne und Schüler der Höheren
Schule, gründen am 13. Juni 1904 den „Sport-Club Westfalia Herne“. Der
Ort steht dabei durchaus für das Selbstbewusstsein der Akteure: Im
Rittersaal zu Schloss Strünkede wird ein vornehmer „Club“ gegründet.
Zur Durchführung des Spielbetriebs mietet man für jährlich 80 Mark eine
Wiese nahe des Schlosses an und erwirbt einen Lederball bei der Firma
Palm aus Mönchengladbach. Bald jedoch muss der Verein die erste
„Niederlage“ hinnehmen: „Am
2. Dezember 1904 wird bekannt, daß nichtsnutzige Burschen die Tore
zerstört haben. Es wird beschlossen, als Querbalken ein Gasrohr zu
verwenden und beim Polizeiamt die Genehmigung zu einer Tafel zu
bekommen: ‚Das Betreten des Platzes ist Unbefugten streng verboten'.“
In der Saison 1908/1909 steigt der SCW in die
Bezirksklasse, die höchste Klasse im Westdeutschen Spielverband, auf.
Mit stolzer Brust und in roten Schärpen auf weißer Bluse - rot-weiß
waren bis 1913 die Vereinsfarben - präsentieren sich die Bürgersöhne in
voller Fußball-Montur dem Fotografen.
1920
In
der Weimarer Republik entwickelt sich Fußball zum Massensport.
Hunderttausende von Männern hatten als Soldaten während des Krieges das
Fußballspielen kennengelernt und brachten ihre Begeisterung mit zurück
in die Heimat. Durch die Einführung des Acht-Stunden-Tages haben auch
die Arbeiter „Frei-Zeit“ und können am Sportgeschehen teilnehmen. Die
Grenze zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft wird auf bzw. um die
Fußballplätze herum spürbar durchlässiger. Von dem Sportboom der
Weimarer Republik profitiert auch derSCW und wächst mit über 1.000
Mitgliedern zu einem der größten Sportvereine im Ruhrgebiet heran.
1934
Heinz Sobota klärt vor dem Dortmunder Nationalspieler August Lenz. Westfalia - Borussia Dortmund 8:2, Januar 1938.
Der
24. Juni 1934 ist ein geschichtsträchtiger Fußball-Sonntag. In Berlin
bringen die Schalker Knappen mit einem 2:1 Sieg zum ersten Mal den
Titel des Deutschen Meisters „nach dem Kohlenpott“ und im Bergischen
Land holt sich der SCW bei Sturm und Regen gegen den FC Schwelm die
noch fehlenden Punkte, um in die Gauliga, die höchste westdeutsche
Spielkasse, aufzusteigen. Bis zum Kriegsende begründet der SCW in den
Jahren der Gauliga-Zugehörigkeit seinen Ruf als „Traditionsverein“,
auch wenn es nicht gelingt, die übermächtige Dominanz des „Schalker
Kreisels“ um Ernst Kuzorra und Fritz Szepan zu brechen. Aber
Mannschaften wie Borussia Dortmund, VfL Bochum und Preußen Münster
verweist man auf die Plätze.
1946
Bereits
kurz nach Kriegsende rollt das Leder wieder. Im April 1946 kommt der
Altmeister Schalke 04 zum ersten Meisterschaftsspiel, und der 3:1-Sieg
von Westfalia lässt den Westen aufhorchen. Westfalias Fußball gewinnt
an Renommee und Einladungen zu „Kalorienspielen“ aus dem Münsterland
bis hinein ins Niedersächsische folgen: Blau-Weiße Fußballkunst gegen
Kartoffeln, Mettwürste, Schinken und Butter.
1959
Die legendäre Westfalia-Elf vor der imposanten Kulisse des Frankfurter Waldstadions, Juni 1959. (v.l.): Siggi Burkhardt, Hans Tilkowski, Gerd Clement,
Alfred Pyka, Willi Kellermann, Helmut Benthaus, Willi Overdieck, Alex Kraskewitz, Horst Wandolek, Kurt Sopart, Werner Losch.
In
der Saison 1958/59 wird die bisherige „graue Maus“ der Oberliga West
Westfalia Herne nach einer traumhaften Saison überlegen Westdeutscher
Meister und lässt Mannschaften wie den 1.FC Köln und Borussia Dortmund
weit hinter sich. Die Presse schreibt über „das Wunder von Herne“,
dessen Macher der legendäre Trainer Fritz „der Eiserne“ Langner ist,
und zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte spielt man um die Deutsche
Meisterschaft.
Mit Hans Tilkowski, Helmut Benthaus und Alfred Pyka stellt Westfalia Herne in dieser Zeit allein drei Nationalspieler.1960
Die Entscheidung: Uwe Seeler köpft in der 74. Minute das 4:3. Tilkowski streckt sich vergeblich.
Erneut
qualifiziert sich Westfalia als Westdeutscher Vizemeister für die
Endrunde um die „Deutsche“. Dabei kommt es am 28. Mai 1960 zum wohl
„größten Spiel“, das je in Herne stattgefunden hat. Vor 40.000
Zuschauern ist der Meisterschaftsfavorit Hamburger SV zu Gast am
Schloss und gewinnt nach einem dramatischen Kampf mit 4:3 durch ein Uwe
Seeler-Tor in der 74. Spielminute.
1963
Die
Bundesliga kommt, aber Westfalia kann sich für die „Königsklasse“ nicht
qualifizieren und fällt automatisch in die Zweitklassigkeit der
Regionalliga West zurück. In den nächsten Jahren bestimmen Schlagworte
wie „Kohlekrise“ und „Zechensterben“ die Presse. Es geht bergab mit der
Stadt Herne und nicht minder mit dem SCW. Bis 1968 hält man sich noch
in der Zweitklassigkeit der Regionalliga, muss aber schließlich 1969
den bitteren Abstieg in die Verbandsliga antreten.
1975
Jochen Abel mit dem Siegerkranz. Der Aufstieg in die 2. Bundesliga, Juni 1975.„Goldin“
prangt auf den Trikots der Blau-Weißen Westfalen, die mit dem
überragenden Mittelstürmer Jochen Abel (später VfL Bochum) in die 2.
Bundesliga Nord stürmen. Der Tankstellen-Besitzer Erhard Goldbach löst
als generöser „Mäzen“ eine neue Fußballbegeisterung in Herne aus. Die
1. Bundesliga ist das ausgemachte Ziel.1979
In der „Chronik des 20. Jahrhunderts“ heißt es:
„Wegen Steuerschulden in Höhe von etwa 340 Millionen DM darf die
konzernfreie Mineralöltankgesellschaft Goldbach kein Benzin mehr
ausliefern. Die etwa 250 Goldin-Tankstellen müssen schließen.“ Für
Westfalia bedeutet der Goldbach-Skandal die größte Vereinskrise der
Geschichte, da man sich aufs engste mit dem Wohl und Gedeih des Mäzens
verbunden hatte. Es kommt zum Ausverkauf des Profikaders, zur
Lizenzrückgabe und zum Neubeginn in der Oberliga Westfalen.
1989
Unter
Trainer Pedro Milasincic spielt Westfalia um die Deutsche
Amateurmeisterschaft, aber ein unglückliches Aus gegen die Mannschaft
des 300-Seelen-Dorfes Vestenbergsgreuth folgt in der ersten Runde.
Damit ist der SCW aber in keiner schlechten Gesellschaft, denn später
soll im DFB Pokal der FC Bayern München dem kleinen Dorfverein
unterliegen.
1999
Nach
dem tiefen Fall bis in die Landesliga Mitte der neunziger Jahre stürmt
der schon tot gesagte SCW auf direktem Weg zurück in die Oberliga. Ganz
Fußball-Herne steht Kopf, als die Mannschaft schon am vorletzten
Spieltag mit einem 5:0-Erfolg beim Tabellendritten Meschede vor über
1.000 mitgereisten Herner Fans die Meisterschaft perfekt macht.
2004
Mit
Trainer Frank Schulz steht der SCW im Jubiläumsjahr an der Spitze der
Verbandsliga im harten Dreikampf mit der Spvg. Erkenschwick und dem SF
Oestrich-Iserlohn um den begehrten Aufstiegsplatz in die Oberliga. Der
Aufstieg in die Oberliga wäre sicherlich eines der schönsten
Jubiläumsgeschenke für die alte Dame „Westfalia“.